News

Als Arbeitspädagogin auf Schatzsuche bei Autisten

Silvia Hartl hat früher Fleisch und Wurst verkauft. Nach der Umschulung im BFW München bildet sie heute Menschen mit Autismus aus.

„Die berufliche Reha zur Arbeitspädagogin war meine Berufung“, sagt Silvia Hartl (48). Als gelernte Metzgereifachverkäuferin war die Diagnose Ellenbogensehnenriss zunächst ein Schock. Rückblickend und glücklich in ihrem neuen Beruf sieht sie die durch die Berufsunfähigkeit nötige Umschulung aber als einen „Segen“.

Ihre Erstausbildung sei nie ihr Traumjob gewesen, aber als alleinerziehende zweifache Mutter musste sie Geld verdienen. Also ging sie zwar desillusioniert, aber verlässlich arbeiten. Über sieben Jahre lang lebte und arbeitete sie mit beständigen Schmerzen im Ellenbogen. Irgendwann ging nichts mehr und nur noch eine Operation konnte helfen.

Die Deutsche Rentenversicherung bewilligte Hartl anschließend eine Umschulung. Im Berufsförderungswerk (BFW) München war die Grafingerin im Frühjahr 2018 zunächst zur zweiwöchigen allgemeinen Berufsfindung und Arbeitserprobung. Später wurde in einer gesonderten Maßnahme ihre spezifische Eignung für den Beruf der Arbeitspädagogin/des Arbeitspädagogen (APD) abgeklärt. Die 18-monatige Umschulung startete im Dezember 2018.

Insgesamt vier mehrwöchige externe Praktika sieht der Ausbildungsplan vor. Zwei absolvierte Hartl bei der Stiftung Pfennigparade, das letzte am Standort AutArK (Autismus Arbeit Kompetenz) in der Hanauer Straße in München. AutArK bietet bis zu 36 Menschen mit Autismus einen Arbeitsplatz. Dort ist die Kursbeste der APD 08 seit Juli 2020 fest angestellt.

Hartl leitet die Gruppe „Dienstleistungsmanagement“. Deren derzeitige Auftraggeberin ist die junge Zahnmedizinstudentin Anni, die „Kakadu Colours“ gegründet hat. Das kleine Münchner Label entwirft, produziert und verkauft Taschengurte, Handybänder und -hüllen, Schlüsselanhänger und Haarbänder. Logistik und Versand hat Anni dem Autismus-Zentrum der Pfennigparade anvertraut.

Sieben Männer zwischen 19 und 40 Jahren mit Autismus-Spektrum-Störungen arbeiten in Hartls Gruppe. „Sie kommen zum Teil von weit weg in unsere Einrichtung“, erklärt Hartl. „Hier arbeiten sie unter den sicheren Rahmenbedingungen der Werkstatt.“ Der junge Standort sei spezialisiert für Menschen mit Autismus-Spektrum-Störung ohne kognitive Einschränkungen. Die Mitarbeiter pflegen die Homepage, übernehmen den Kundenkontakt per Mail und bearbeiten die bis zu 200 monatlichen Bestellungen. Außerdem übernehmen sie die Wareneingangskontrolle, die Konfektionierung, die Verpackung sowie den europaweiten Versand der Ware.

Als „Schatzsuche“ bezeichnet Hartl ihre Arbeit, bei den Betroffenen Fähigkeiten zu entdecken, derer sie sich selbst nicht bewusst sind. „Mir geht es darum, dass es den Leuten gut geht bei dem, was sie machen“, sagt sie. Ihr Wunsch sei es, dass alle Mitarbeiter theoretisch alle Aufgaben übernehmen können. „Ich leite sie aber nicht nur in den Arbeitsschritten an, sondern auch in ihrer Persönlichkeit.“

Ein großes Thema in ihrem Arbeitsalltag mit den Autisten spiele deren eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit: Ein Reha-Klient mit Asperger-Syndrom könne z. B. gar nicht sprechen und kommuniziere ausschließlich mit einem Talker, den Hartl gemeinsam mit ihm programmiert hat. Ein anderer sei atypischer Autist, sprachlich schwach und extrem schüchtern. Er kommuniziere mit Hilfe von Bildkarten und Piktogrammen.

„Ich muss oft erklären, was ein Arbeitspädagoge ist“, erzählt Hartl. „Am liebsten sage ich dann: Ich bilde Menschen mit Autismus aus.“ Sie sehe sich aber nicht als Lehrerin – da würde der Begriff „Pädagoge“ irreführen – sondern vielmehr als Anleiterin.

Grundlegend für die Ausübung des Berufs sei laut Hartl die Liebe zum Menschen. Sie spricht von einem „saugenden“ Beruf, in dem die Akzeptanz der Andersartigkeit und die Fähigkeit zur Distanzwahrung extrem wichtig seien. „Und eine Prise Humor“, lächelt sie.

„Ich hatte Glück und bin berufsunfähig geworden. Sehen Sie die Berufsunfähigkeit als Chance“, ermutigt Hartl. Natürlich habe sie zunächst Angst und Chaos in ihrem Leben ausgelöst. Letztlich aber ist die Arbeitspädagogin dankbar dafür, wie alles gekommen ist. „Die Umschulung im BFW hat sich wie ein Puzzlestück in mein Leben eingepasst.“

Der nächste Kurs im Ausbildungsgang „Arbeitspädagoge“ im BFW München startet am 16. Dezember 2021, der Vorkurs am 16. September.

Nähere Informationen rund um unsere Ausbildungsgänge erhalten Sie bei unseren Info-Tagen. Hier geht's zur Anmeldung.